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Die zwölf Stunden

[6.23] Sehet, das Wrack hängt an dieser Klippe und eine Menge Menschen klammern sich an die über den Wasserspiegel ragenden Schiffsrippen, eine kleinere Menge schwimmt auf den elenden Fahrzeugen ihrem sichern Tode entgegen; aber der Capitain und der Inhaber der Waaren kauern am hervorragenden Maste und ringen von größter Verzweiflung ergriffen nun schon am 3ten Tage nach dem Schiffbruche mit dem Tode; also auch die andern Reisenden auf dem Schiffsgerippe.

[6.24] Meinet ihr, daß Einer von diesen Menschen Mich um irgend eine Hilfe angefleht hat? sondern hinstarren sie in die weite offene See, ob nicht ein Fahrzeug sich ihren Blicken zeigen möchte. Allein vergeblich ist ihr Schauen; denn weislich werde Ich die andern Fahrzeuge also zu lenken wissen, daß sie sobald nicht in die Nähe dieser Stelle gelangen sollen.

[6.25] Nun sehet her, wie diese Zwei am Maste kauernd mit einander ringen, ihr werdet meinen, sie suchen sich durch dieses Ringen desto fester an den Mast anzuklammern. Allein es führt dieses Ringen etwas Anderes im Schilde und heißt: Hungersnoth! und da will Einer den Andern umbringen, auf daß er etwas zu essen bekäme.

[6.26] Und sehet hin auf die Rippen des Schiffes; da könnt ihr schon eine solche Mahlzeit sehen, wie ein anderer englischer Kaufmann seinem theuern Weibe, die an ihn sich geklammert hat, so eben ihre Brüste mit großer Gierde verzehrt.

[6.27] Und seht, dieses Sicheinanderauffressen geht gewöhnlich bis auf Einen fort und dieser Eine macht sich am Ende noch über sich selbst her und verzehrt sich soweit, als er sich nur erreichen kann; welche Scene nach wenigen Stunden gewöhnlich mit der Verblutung endet. —

[6.28] Was die Knochen betrifft, so wird von diesen soviel nur möglich ist, herabgenagt, und das Uebrige dann häufig fluchend in's Meer geworfen.

[6.29] Und da wir nun hier nichts mehr zu leben und zu schauen haben, so wollen wir noch unsere 3 Fahrzeuge verfolgen, und sehen, wie es da zugeht! —

[6.30] Nun sehet, da ist schon eines; sehet, aber nur 3 mehr leichenartige menschliche Wesen kauern in demselben; das sind 3 Helden, welche sich zum Gesetz gemacht haben, da sie die andere Gesellschaft in's Wasser geworfen hatten, sich selbst unter einander nicht aufzufressen, und überlassen sich nun kaum mehr lebend ihrem blinden Zufalle.

[6.31] Damit ihr euch nicht länger bei diesen Dreien aufzuhalten braucht, so wollen wir's mit Diesen bald zu Ende bringen; sehet da, eine mächtige Woge schlägt an das schwache Fahrzeug, und ein gutmüthiger Hai wartet schon mit Sehnsucht auf den Inhalt dieses Fahrzeuges, welches er lange schon als treuer Gefährte begleitet hat.

[6.32] Und nun sehet, die Woge hat ihren Dienst gethan, und der Hai seine mit Sehnsucht erwartete Beute verschlungen, und so giebt's auch hier für uns nichts mehr zu beobachten, und wollen wir ein anderes dieser Fahrzeuge aufsuchen.

[6.33] Ihr werdet nun denken, wo wird sich dieses wohl befinden; Ich aber sage euch, sorget euch nicht, der mit Mir sucht, dem wird das Finden nicht schwer werden. Nun da seht her, es ist schon hier! — Zählet die Menschen, die sich darinnen noch befinden; es wird euch nicht schwer werden, die Scene zu bestimmen.

[6.34] Warum zählet ihr denn nicht? — Ihr saget, wir sehen Niemanden. Da geht nur näher hieher, und sehet hinein in den schwankenden Nachen; sehet, nichts als abgenagte Knochen, und doch ist erst der zehnte Tag nach dem Schiffbruche! Ihr möchtet nun wohl wissen, wo denn der Letzte, der daran genagt hat, hingekommen ist, da er sich doch selbst nicht bis auf den kahlen Knochen aufgezehrt haben konnte? —

[6.35] Nun da lenket eure Blicke ein wenig seitwärts; sehet, dahier in der mehr westlichen Hälfte der Tafel ragt eine wenige Klaftern um sich fassende bemooste Klippe über den Meeresspiegel hervor.

[6.36] Sehet, da kauert er verzweiflungsvoll in der Mitte dieses äußerst kleinen Eilandes, und wie er das Moos und das wenige Gras zusammenraffet, und solches in seinen Mund schiebt. Sehet, das ist nun das Loos dieses Letzten, und Dieser ist auch der Einzige, den von allen den Gestrandeten ein anderes Schiff in zwei Tagen noch lebend aufnehmen wird, darum, daß er Kunde brächte, was da geschehen; und dieser ist auch der Einzige, der sich wenigstens auf dieser Insel Meiner ein wenig zu erinnern angefangen.

[6.37] Und so lassen wir Diesen allda erwarten seine Rettung und wollen nun sehen, wo denn die Plätte sich befindet. Nun da sehet her; da schwimmt die Plätte! Sehet, auch hier ist kein Mensch mehr vorhanden, sondern einige Knochen sind mit einem Stricke an ein Bret befestiget, und gleichfalls dort in der Mitte der Plätte eine verkorkte schwarze Flasche;

[6.38] der Letzte hat nämlich den Untergang des Schiffes, wie seinen eigenen, niedergeschrieben, und befestigte denselben sammt der Flasche ebenfalls mit einem Stricke an ein Bret, bei welcher Gelegenheit er schwächlich unvorsichtiger Weise mit einem Fuße in's Wasser strauchte, und so sich noch einige Zeit mit den Händen am Brete haltend erhielt, bis ebenfalls ein feinschmeckender Hai ihm den halben Leib abriß, und endlich auch die andere Hälfte verzehrte.

[6.39] Nun sehet, sind wir mit unserer Schifffahrt gänzlich zu Ende; und da nach eurem Sprichworte sogar der Tod seine Rechte verloren hat, allda nichts mehr ist, so wollen auch wir dahier unsere Schaurechte aufgeben, wo der Tod uns Alles aus den Augen geraubt hat, und uns daher ein wenig fürbaß auf unserer Wasser vorstellenden Tafel umsehen, — ob nicht für euch irgend etwas Denkwürdiges zu schauen in schon schwimmender Bereitschaft sich befindet.

[6.40] Na, da sehet her! da schwimmt ja eben ein englisches Linienschiff daher; es ist außer den Matrosen und dem Steuermanne nichts Lebendes am Verdecke zu erschauen. Ihr möchtet nun wohl wissen, was seine betheerten Breter umschließen?

[6.41] Nun so sehet her! Ich werde nun über dieses Schiff ein Epheta donnern, und sogleich wird das Schiff, als wäre es von Glas, durchsichtig werden, und sein Inhalt wird euch schauerlich genug in die Augen springen; und so sage ich denn: Epheta!

[6.42] Sehet jetzt, und urtheilet, was es dahier ist und giebt; sehet in den untern Räumen des Schiffs eine Zahl von 300 Menschen mit schweren Ketten belegt, beiderlei Geschlechts, beinahe ganz nackt; betrachtet ihre Leiber, wie abgemagert sie sind, zählet die blutunterlaufenen Striemen und betrachtet die elende Kost, die ihnen nicht etwa von Tag zu Tag, sondern von Woche zu Woche für die Person in einem kaum dritthalb Pfund schweren Steinbrode nebst einem Maßkruge faulen Wassers gereicht wird.

[6.43] Sehet, wie dort in einem Winkel ein ältlicher Mann, an dessen Füßen sich schon einige Ratten versucht haben, den hereintretenden Gefangenwärter um den Tod bittet; sehet dahin in einem andern Winkel eine wahre weibliche Venus nach eurem Schönheitsbegriffe, um ihre weichen Arme Ketten angelegt, ängstlich schreien und flehen, daß man sie doch in's Meer werfen möchte, oder ihr doch nur wenigstens eine Hand frei zu geben, daß sie sich den sie beißenden Unrath von der Nase schaffen könnte.

[6.44] Allein was thut der Wärter? Er nimmt einen scharfen Besen, und hält ihr denselben vor die Nase, daß sie sich reinigen sollte; auf diese Art zerkratzt und beschmiert er ihr das ganze Gesicht, daß dasselbe endlich voll Geschwüre und Eiter wird. — Und wenn sie über solche Behandlung klagt, so wird sie noch obendrauf gezüchtiget.

[6.45] Sehet hinab zu ihren Füßen. O diese zarten Füßchen! wie waren sie erst vor 3 Wochen im hohen Ansehen bei einem geilen und reichen englischen Prasser; allein, da dieses Mädchen zu verführen, seine reichen Versprechungen wenig ausrichteten, so wußte seine Niederträchtigkeit seiner Rache solche Luft und solchen Weg zu machen, daß er dieses arme Mädchen wegen eines erdichteten vorgegebenen bedeutenden Diebstahls durch eine geheime Bestechung der geschworenen Richter dahin brachte, da ihr sie soeben jetzt sehet.

[6.46] Und so wie diese Arme hier deportirt wird als Verbrecherin, sind noch einige in dieser Gesellschaft, und sehet darob gerade in dem entgegengesetzten Winkel einen noch ziemlich jungen Menschen angeheftet, der, da er der einzige Erbe eines reichen Mannes war, nach dem Tode seines Vaters von seiner eigenen Mutter mit der Hilfe eines ihrer schändlichen Liebhaber auch daher gebracht worden ist.

[6.47] Wir wollen seine Geschichte nicht weiter verfolgen, sondern einen Rückblick machen auf die schönen zarten Füße unserer schönen Gefangenen. Sehet, wie sie emsig springen, um das Schiffsungeziefer abzuwehren, mit ihren Füßen nicht ebenfalls den Versuch zu machen, wie mit den Füßen jenes Alten; und sehet nur hinab noch tiefer zu ihren Füßen, wie sie sich schon durch ihren Fleiß ein ganzes förmliches Rattenpolster bereitet hat!

[6.48] Und meinet ihr, daß die faulen Schiffsbestien hinabgingen, wenigstens das getödtete Ungeziefer aus dem Schiffe zu räumen, o nein, das thun sie ja nicht; dafür rauchen sie diesen unglücklichen Theil des Schiffes lieber täglich mit Theer aus, um dadurch einer allfälligen Schiffskrankheit vorzubeugen.

[6.49] Ihr werdet euch freilich denken, solche Unmenschlichkeit geht über alle Begriffe, und es müssen doch Aerzte und Priester dafür sorgen, daß die allfälligen äußeren Gesetze beobachtet werden möchten;

[6.50] Ich sage euch aber, daß in England jedes Schiff, wie es den Hafen verläßt, keine anderen Gesetze hat, als das lebendige des Capitains, und es dauert nicht lange, so blasen sämmtliche Schiffsbehörden in ein Horn, und so herrschet auch oft nur eine Niederträchtigkeit unter einem und demselben Verdecke, auch brauchts nicht mehr, als wie es eben hier der Fall war, daß eine solche junge schöne Deportirte den wilden Leidenschaften der oft betrunkenen Befehlshaberschaft nicht Gehör giebt, und sich zu allen erdenklichen geilen Niederträchtigkeiten gebrauchen läßt, so ist ihr für diese Welt bedauerungswürdigstes Urtheil schon gesprochen. — Sehet, jetzt werdet ihr schon einsehen, warum da das Ungeziefer nicht aus dem Schiffe geschafft wird. —

[6.51] Aber das ist noch nicht das Einzige, was eine solche arme Deportirte auszustehen hat; es werden ihr obendrauf noch von ihren Mitgenossen beiderlei Geschlechtes oft die gräßlichsten Verwünschungen zugeheult, da es nur an ihr gelegen wäre, ihnen ihr Schicksal erträglicher gemacht zu haben.

[6.52] Und sehet euch noch ein wenig herum in diesen Trauergemächern, und gehet jetzt mit euren Blicken herauf in die glänzenden Gemächer der Schiffsherren; — sehet, wie es da toll und voll zugeht!

[6.53] Aus ihren Bechern sprüht schäumender Wein; Alle schreien ein Lebehoch ihrem Befehlshaber zu, und Einer darunter schreiet auch: Es lebe unsere schöne Gefangene, und Alle stimmen wie von einem Wahnsinn ergriffen ihm beifällig zu.

[6.54] Und sehet, nun stecken die Häuptlinge die Köpfe zusammen; was möchten sie wohl im Sinne haben, werdet ihr fragen. Kümmert euch nicht dieses Geheimnisses; denn es enthält nichts Anderes, als einen schlauen Kniff, um die arme Schöne zu gewinnen.

[6.55] Und was meint ihr, worin dieser Kniff wohl besteht? Seht, dieser Kniff besteht in nichts Anderem, als in dem: die Holde wird nun alsobald von ihren Fesseln befreit und sogleich unter wirksame ärztliche Pflege gebracht; da sie nun wieder hergestellt ist, so wird ihr ein förmlicher Heirathsantrag gemacht, vermöge welchen sie das Weib eines oder des andern Schiffsherrn werden kann.

[6.56] Die Arme sieht den feinen Betrug nicht ein, durch die Höllentortur der untern Gemächer zu sehr erschreckt, und verbindet sich unter einer falschen Einsegnung, nicht etwa des Priesters, sondern eines verkleideten Schiffssoldaten; auf diese Weise gebraucht sie nun ihr Scheingemahl, und zur Nachtzeit tritt an seine Stelle nach Willkür ein Anderer, und also wird dann unsere arme Gefangene unbewußt zu einer Schiffshure.

[6.57] Es geht ihr freilich für den Magen nichts ab, und sie ist in der glücklichen Idee, daß sie da ihr Glück gemacht habe; aber die Augen werden ihr erst in Botanybai, an einer Küste Australiens, geöffnet, da sie gleich den anderen Verbrechern der lebenslänglichen Geißelung preisgegeben wird. Das Schicksal dieser Unglücklichen folgt in der siebenten Stunde.

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