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Die geistige Sonne

Erlernen des Lesens und Schreibens aller weltlicher Schriften

(Am 2. September 1843 von 5 1/4 – 6 3/4 Uhr nachmittags.)

[2.68.1] Ihr habt jetzt gesehen, wie allda die unmündigen Kindlein sprechen lernen; was folgt aber auf das Sprechen? Seht, da vor uns ist schon ein anderes Gebäude. In dieses werden wir hineintreten, und es wird sich da sofort zeigen, was mit diesen Kindern ferner geschieht. Wir sind schon im Gebäude, welches gar herrlich gebaut ist, und entdecken hier nicht mehr die früheren Abteilungen, sondern das ganze Gebäude stellt einen sehr großen Saal vor, der Raum genug hat, wie ihr euch mit der inneren Sehe überzeugen könnt, um eine Million solcher Scholaren zu fassen, und dazu noch auf je zehn zu zehn einen Lehrer obendrauf.

[2.68.2] Was geschieht aber hier? Seht, da vor uns ist solch ein Schöckchen [Grüppchen], ihr seht mitten einen runden Tisch, um welchen zehn kleine Scholaren mit einem Lehrer bequem logiert sind. Was haben sie, die Scholaren nämlich, vor ihnen am Tisch liegen? Wir erblicken Bücher, deren Blätter etwas steif sind, und auf den Blättern sind nach der Reihe hin kleine, gar überaus meisterhafte Bilderchen.

[2.68.3] Was tun die Schüler mit diesen Bilderchen? Sie sehen sie an und reden hernach oder sagen gewisserart dem Lehrer ihr angeschautes Bild auf. Seht, das ist der erste Anfang zum Lesen; hier werden bloß ausgearbeitete Bilder gelesen.

[2.68.4] Seht eine Menge Tische hier im Vordergrund, welche in einer geraden Linie über die Breite des Saales hinlaufen; da befinden sich, wie ihr seht, lauter Anfänger im Lesen. Ihr sagt hier freilich und fragt: Das ist alles recht, richtig und schön, wenn es sich bloß um das Lesen einer reinen Bilderschrift handelt; aber wenn hier auch das Lesen mittels stummer Zeichen oder sogenannter Buchstaben gang und gäbe ist, so sehen wir noch nicht recht ein, wie möglich diese stummen einlautigen Zeichen aus diesen niedlichen Bilderchen hervorgehen werden.

[2.68.5] Lasst es nur gut sein, meine lieben Brüder und Freunde! Wie solches hier vor sich geht, wird euch schon bei den nächsten Tischreihen klar werden; und ihr werdet euch überzeugen, dass man hier auf ganz natürlichem Weg ohne das vorhergehende Buchstabieren und Syllabieren ganz vortrefflich kann lesen lernen.

[2.68.6] Seht, da ist schon die zweite Reihe; was erblickt ihr hier? Ihr sagt: Nichts anderes als im Grunde dieselben Bücher; aber nur sind die Bilder nicht mehr völlig ausgearbeitet, sondern bloß nur mit den sogenannten Konturlinien gegeben. – Seht, da gehört schon mehr Denken dazu, um aus der Verbindung der Linien das früher gut ausgearbeitete Bild wieder herauszufinden. Zugleich aber werdet ihr daraus ersehen, dass dadurch das innere Gemüt mehr zur Tätigkeit angeleitet wird, je mehr für die äußere Beschauung von einem Bild hinwegfällt; oder das innere Gemüt wird angeleitet, die abgängige Ausführung selbst hinzuzuschaffen. Was die Schüler bei dieser zweiten Reihe tun, haben wir bereits gesehen.

[2.68.7] Gehen wir zur dritten; wir sind hier. Was seht ihr hier? Ihr sagt: Wieder Bücher wie früher; aber hier sehen wir bloß nur Grundlinien, um welche die anderen Konturlinien bloß durch Pünktchen ausgedrückt sind. – Seht, hier ist es schon schwerer, das eigentliche Bild herauszufinden; aber dass man dabei schon mehr zu der eigentlichen Grundbedeutung, gewisserart zum Fundament des Bildes zurückgeführt wird, ist ersichtlich. Zugleich wird hier die Bedeutung der Bilder schon gründlicher gelesen, und die Linien fangen an, für sich selbst mehr Bedeutung zu gewinnen.

[2.68.8] Es wird auch zugleich erklärt, was da eine gerade, eine krumme und eine kreisförmige Linie ist.

[2.68.9] Gehen wir zur vierten Reihe; was erblickt ihr da? Ebenfalls wieder Bücher, wo zwar auch noch die Grundlinien vorkommen; aber sie sind mehr mit den Konturpunkten umfasst. Da aber die vorkommenden Bilder eine Menge historischer, meistens auf den Herrn Bezug habende Situationen darstellen, und somit bei jedem Bild eine oder auch mehrere menschliche Figuren vorkommen, so werden durch diese Grundlinien fürs Erste alle Teile und Gliederungen des Menschen ersichtlich dargestellt, daraus die Schüler gar leicht ersehen, wie die Teile des Menschen geordnet sind, und was für Bedeutung da die einfachen Linien in Bezug auf die verschiedenen Teile und Gliederungen des Menschen haben.

[2.68.10] Was geht aber aus dem hervor? Das werden wir sogleich bei der nächsten Reihe sehen.

[2.68.11] Seht, wir sind schon bei ihr. Da sehen wir dieselben Linien kleiner aneinandergereiht und hier und da die Endteile der Linien in gewisse Punkte auslaufend. Was besagt denn solches? Es ist noch immer das erste Bild; aber die Linien gehen schon mehr in eine stumme Zeichenform über, und die Schüler müssen diese stummen Zeichen also erkennen, als hätten sie das komplette Bild vor sich.

[2.68.12] Gehen wir aber wieder zur nächsten Reihe. Da erblickt ihr in den Büchern bloß nur ein, zwei oder drei Hauptlinien, und zwar in viel kleinerem Maßstab gegeben. Diese einzelnen Hauptlinien werden hier und da mit kleinen Bögchen darum zusammengehängt, um dadurch anzuzeigen, dass sie zusammengehören. Die Nebenlinien werden nur hier und da mit wenigen kurzen Strichelchen und Punkten angezeigt.

[2.68.13] Seht, ist das nicht schon eine förmliche Schrift? Ja sicher ist sie es; und sie ist die so ganz eigentliche rechte Schrift, welche mit dem ganzen Wesen des Menschen korrespondiert. Ihr sagt: Das ist richtig; aber wie sieht es denn mit den einzelnen Lauten oder mit dem sogenannten ABC aus? – Ich sage euch: Das liegt schon alles darin; denn die sogenannten Selbstlaute sind durch die Punkte und kleinen Strichelchen angezeigt, die Mitlaute aber werden durch die Hauptlinien und deren Verbindungen dargestellt. Und fürs Dritte liest man allhier nie nach den einzelnen Buchstaben und lernt sie auch darum nicht voraus des Lesens wegen kennen, sondern da ist der Weg gerade umgekehrt. Man lernt hier zuerst aus den allgemeinen Zeichen lesen, wie ihr gesehen habt, und aus diesen allgemeinen Zeichen lernt man erst nachher die einzelnen Grundlautzeichen erkennen und zusammensetzen und aus den zusammengesetzten wieder die allgemeinen Zeichen herausfinden.

[2.68.14] Seht, das ist hier die Art und Weise, auf die allerkürzeste und allerzweckmäßigste Art den Schülern das Lesen beizubringen.

[2.68.15] Dass zu der Erlernung des Lesens schon die frühere Erlernung des Sprechens ungemein viel beiträgt, braucht kaum näher erwähnt zu werden, indem solches ohnehin mit den Händen gegriffen werden kann. Denn der Unterschied zwischen den Mitteln besteht bloß darin, dass sie bei der Erlernung des Sprechens plastisch und dramatisch sind, beim Erlernen des Lesens aber sind sie flach dargestellt.

[2.68.16] Wir erblicken aber hier noch mehrere Reihen; was geschieht wohl da? Es wird noch fortwährend vollkommener lesen gelehrt; und dieses besteht darin, dass die Schüler aus der Gestalt dieser inneren Schrift, welche geistig ist, durch Entsprechungen am Ende auch alle weltlichen, äußeren Schriften finden und erkennen lernen; und mit nichts sonst als bloß mit dem Lesen, wird sich in diesem Gebäude abgegeben. Dass dabei die Schüler auch gewisserart schon von selbst das Schreiben lernen, braucht kaum erwähnt zu werden; denn nach dieser Methode werden, wie ihr zu sagen pflegt, mit einem Streich zwei Fliegen erschlagen.

[2.68.17] Ihr fragt hier freilich und sagt: Ja, wenn diese vielleicht kaum fünf- bis siebenjährigen Kinderchen, nach irdischem Maßstab genommen, solches alles erlernen, was bleibt ihnen denn dann noch zu erlernen übrig? Denn wie wir gesehen haben, so haben sie während des Sprechenlernens durch die zahllos mannigfaltigen Tableaus sich ja ohnehin schon fast alles eigen gemacht, was der Mensch in seinem Geist sich nur vorzustellen vermag. Und noch bei weitem mehreres hat ihnen die Erlernung des Lesens geboten, denn in ihren Bildern kamen ja doch so außerordentlich viele und mannigfaltigste Situationen vor, dass man mit ihrer Verwirklichung eine ganze Unendlichkeit ausfüllen könnte. Da ist es fürwahr nicht leichtlich einzusehen, was für höhere Schulen es hier noch geben sollte.

[2.68.18] Lasst es nur gut sein; die Folge wird es euch zeigen, was man hier noch alles zu erlernen hat. Ihr müsst ja nicht denken, dass man im Reich der Geister als selbst Geist schon gewisserart, wie ihr zu sagen pflegt, alle Weisheit der Himmel mit dem Löffel gefressen hat, und das noch etwa auf einen Schluck obendrauf. Denn das wäre fürwahr eine außerordentliche Einförmigkeit des Lebens, wenn man sich in einer solchen Stellung befände, die keiner Vervollkommnung mehr fähig ist. Wenn aber der Herr Selbst immer, was ihr freilich nicht recht wohl begreifen werdet, in der Entwicklung Seiner unendlichen Kraft fortschreitet, was ihr leicht aus der Fortschöpfung und Fortpflanzung aller Dinge erschauen könnt, wie sollte es da für Seine Kinder je irgendeinen Stillstand geben? Wie aber solche Fortschreitungen geschehen, wird die Folge zeigen.

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