Help

jakob-lorber.cc

Großes Evangelium Johannes

219. — Seele und Leib

[6.219.1] (Der Römer:) „Wir kamen nach Memphis und nahmen Herberge, die uns der dortige römische Oberste und Pfleger verschaffte, und das in seinem großen Palaste. Die drei ersten Tage hindurch besahen wir uns die Stadt, ihre Umgebung und die alten Tempel mit ihren Umgebungen, die uns Römer natürlich sehr interessierten.

[6.219.2] Am dritten Tage, noch sehr früh, gewahrte ich, daß sich in meinem großen Schlafgemache etwas rege und bewege. Auch die Diener, die bei mir Wache hielten, bemerkten das. Ich fragte sie alsbald, was das sei, und was es zu bedeuten habe. Aber die Diener kannten das nicht und beteuerten, so etwas nie je zuvor bemerkt zu haben. Es glich bald einem Schatten an der Wand und bald einem Nebel, der sich am Boden des Gemaches erhob und hin und her schwebte, als würde er von einem leichten Luftzuge bewegt. Zum Brennen konnte da wohl nicht so leicht etwas kommen, weil wohl alles Stein war, sogar die Tische, Betten und Stühle. Wir betrachteten dieses scheinbare Naturspiel eine Zeitlang mit stummer Resignation, und ein jeder wartete mit einer gewissen Ängstlichkeit, was da am Ende herauskommen werde.

[6.219.3] Es dauerte aber gar nicht lange, da verschwand dieses Schatten- und Nebelspiel auf einmal. Darauf ward ein starkes Geräusch verspürt und eine ganz jugendliche, aber sonst ganz betrübt aussehende weibliche Gestalt kam zum Vorschein; der sonderbaren Tracht nach glich sie einer Altägypterin.

[6.219.4] Ich faßte Mut und fragte sie mit meiner Gemütsstimme, wer sie sei, und was sie hier wolle.

[6.219.5] Im selben Augenblick richtete sich das Wesen auf und sagte: ,Ich bin eine Tochter Sesostris', und mein Name ist Isia. Du bist auch vom selben Stamme und kannst mich frei machen von dieser Burg des Elends und der Verzweiflung, in der ich schon eine lange Erdenzeit verharre. Gib mir Kunde von einem rechten und wahren Gott! Der allein wird mich frei machen von dieser langen Qual; aber deine und meine Götter sind nichts als tote Gedanken der blinden Menschen.‘

[6.219.6] Sagte ich: ,So kehre dich an den Gott der Juden!‘

[6.219.7] Als ich dies ausgesprochen, ward die Gestalt ganz weiß und verschwand.

[6.219.8] Das Weitere brauchen wir hier gar nicht zu berühren. Die Erscheinung war diesmal eine weibliche und hatte die vollste Ähnlichkeit mit einem Mädchen von höchstens dreiundzwanzig Jahren. Als eine Tochter Sesostris' hat sie sicher auch einmal auf dieser Erde im Fleische gewandelt, und es müßte viel sein, so sie mit ihrer einstigen Fleischgestalt nicht die vollste Ähnlichkeit gehabt hätte.

[6.219.9] Aber eben darin liegt ja der völlig unumstößliche Beweis, daß erstens ein jeder Leibmensch eine unsterbliche Seele hat, und daß diese zu den Leibeslebenszeiten den ganzen Leib bewohnt und nach dem Abfalle des Leibes für sich ganz dieselbe Gestalt hat, die sie ehedem im Leibe hatte. Ein mehreres habt ihr nicht gefragt, und so habe ich euch auch nichts Weiteres zu sagen.

[6.219.10] Aber daß eben die Seele den ganzen Leib des Menschen einnimmt, das kann ich euch noch durch ein selbsterlebtes Faktum beweisen, und so denn höret mich noch!

[6.219.11] Ich kannte in Rom einen Menschen, der hatte in einer Schlacht einen Fuß bis übers Kniegelenk eingebüßt und wurde geheilt. Wenn ich den Menschen fragte, ob er von dem verlorenen Fuße nie mehr, gleichsam in einer wie rückerinnerlichen Ahnung, etwas wahrnehme, und ob es ihm vorkomme, daß ihm dieses Glied mangle, so beteuerte der Mensch, daß es ihm vorkomme, als habe er gar nie einen Fuß verloren. Er sei in solchem Gefühle schon zu öfteren Malen dahin gekommen, auf den noch immer als daseiend empfundenen Fuß aufzutreten und sei darum auch schon mehrere Male recht hart gefallen.

Desktop Impressum